Marc Ziegert

Vom Unscheinbaren und Scheinbaren

Der Präsentation und Inszenierung fotografischer Arbeiten im musealen Raum kommt hinsichtlich der Rezeption des Werks eine entscheidende Rolle zu. In seiner Ausstellungskritik analysiert Marc Ziegert die Präsentationsstrategien der 2015 zeitgleich im Essener Museum Folkwang gezeigten Ausstellungen Conflict, Time, Photography und Robert Frank – Books and Films, die in dieser Hinsicht einen großen Kontrast bildeten.

Robert Frank , Books and Films, 1947–2014 , Museum Folkwang 2015

Lange Zeit war der Kunstcharakter der Fotografie umstritten. In seinem Buch Das optische Zeitalter formulierte es der Kunsttheoretiker Karl Pawek noch im Jahr 1963 wie folgt: „Der Künstler erschafft die Wirklichkeit, der Fotograf sieht sie.“ Diese Auffassung ist mit heutigem Blick auf Fotografie, digitale Bildbearbeitung oder inszenatorische Mischtechniken aus Fotografie, Computer Generated Imaging (CGI) und unter Berücksichtigung der finalen Ausstellungspräsentation, schwer nachvollziehbar geworden.

Eben jene räumliche, mediale und gegenständliche Präsentation soll nachfolgend anhand der Ausstellungen Conflict, Time, Photography und Robert Frank – Books and Films thematisiert werden. Einen Sonderfall bilden diese beiden 2015 zeitgleich im Essener Museum Folkwang gezeigten Werkschauen schon deshalb, weil sie – jede für sich – in ihrer Szenographie die jeweiligen Extreme der Fotokunst repräsentieren.

Betritt man das großzügige Foyer des Museums und steuert gewohnheitsgemäß auf den Info- und Kassenbereich in der Mitte zu, befindet man sich bereits in der Ausstellung Robert Frank – Books and Films. Sie erstreckt sich vom Eingangsbereich, den Gang zur fotografischen Abteilung hinab bis zur ständigen Sammlung und Gemäldegalerie, sowie entlang des Korridors zur Garderobe. Diese scheinbare räumliche Beiläufigkeit überrascht bei einem fotokünstlerischen Schwergewicht wie Robert Frank. Konform dazu geht die Präsentation der Arbeiten auf Zeitungspapier, das scheinbar provisorisch mit Heftzwecken an der Wand befestigt wurde. Die ganze Szenerie hat den Charme des Entwurfes: work in progress. „Cheap, quick, and dirty, that’s how I like it!“, wird der Künstler selbst im Pressetext des Museums zitiert. Er habe sich nie wirklich mit dem Kunstmarkt und namentlich der Musealisierung seiner Arbeit anfreunden können. Zur letztendlichen Form der Ausstellung kam es dadurch, dass man Frank einen Entwurf zeigte, der, um Zeit und Kosten zu sparen, mit geringer Sorgfalt gedruckt und provisorisch an den Wänden befestigt worden war, aber Frank so gut gefiel, dass man ihn zum Konzept erklärte und verfeinerte. Dahinter steht freilich mehr, als nur eine spontane Laune des Künstlers. Bedenkt man sein Œuvre, das seinen Schwerpunkt im Bereich des subjektiven Fotojournalismus hat, ist auch das Medium Zeitungspapier ein Bekenntnis zu seiner wahren Zielgruppe: die breite Masse statt einem scheinbar elitären Museumspublikum.

Vor diesem Hintergrund erscheint auch die räumliche Situation im Museum Folkwang weit angemessener und stringenter, als auf den ersten Blick vermutet. Das Foyer ist im Gegensatz zu den Seitenkabinetten ohne den Erwerb von Eintrittskarten zugänglich und der Besuch der Ausstellung damit kostenfrei. Die gezeigten Drucke auf Zeitungspapierbahnen sind – wie auch der Ausstellungskatalog, welcher in der gleichen Technik in Zusammenarbeit mit dem Steidl-Verlag als Sonderausgabe der Süddeutschen Zeitung zu erschwinglichen 2,60 Euro erschien – weit vergänglicher, als die übliche Form der Abzüge oder museumsechten Inkjet-Drucke. Eine Geste der Demokratisierung der Fotokunst. Die Werke selbst sprechen für sich: Alltägliche Szenen im entscheidenden Augenblick aufgenommen, offenbaren ohne weitere Erklärungen ihr poetisch-anrührendes Potential und geben dem Betrachter im stummen Dialog mit einer Bildserie ein Gefühl für Zeiten, Gesellschaften und daraus herausgelöste, ganz persönliche Schicksale.

Auf der anderen Seite – oder besser gesagt in den Räumen der fotografischen Wechselausstellung des Museum Folkwang, die man nach Erwerb eines entsprechenden Billets zu betreten berechtigt ist – findet sich die von der Tate Modern London konzipierte Werksschau verschiedener Fotografen und Fotokünstler Conflict, Time, Photography, welche mit dem Bild Shell Shocked US Marine von Don McCullin beworben wurde. In der gesamten Reihe der gezeigten Arbeiten fällt eben diese als Cover benutzte Arbeit stark aus dem Rahmen, da sie formal weit mehr im Bereich der Reportage und Dokumentation liegt, denn im Bereich der künstlerischen Auseinandersetzung. Es ist ein Bild mit redaktioneller Vergangenheit. 1Don McCullin war 1968 als Fotojournalist in Vietnam. Die Bilder entstanden also im Hinblick auf eine spätere redaktionelle Verwendung (damals Zeitungen, Magazine oder Fernsehen) – ganz im Gegensatz zur Verwendung im Kontext der Fotokunst im Museum.

Als Stellvertreter der großen Mehrheit der Arbeiten mag eher US Bombing on Taliban Positions aus dem Jahr 2001 von Luc Delahaye gelten. Das Bild wäre zur journalistischen Berichterstattung in Tageszeitungen nur schwer vorstellbar, da es sich auf einer sehr abstrakt-konzeptionellen Ebene mit dem symbolhaften Zeichen (Wolke) beschäftigt, das stellvertretend den Platz einer tatsächlichen Abbildung der Kriegshandlung einnimmt. Das extremste Beispiel der Abstraktion innerhalb dieser Ausstellung bildet The Day Nobody Died aus dem Jahr 2008 von Adam Broomberg und Oliver Chanarin. Die beiden Fotografen entwickelten eine spezielle Methode, um der Zensur durch die britische Armee, der sie als embedded jouranlists im Afghanistan-Krieg unterstellt waren, zu entgehen: Eine mehrere Meter lange Rolle Fotopapier wurde während Autofahrten Stück für Stück dem Umgebungslicht ausgesetzt und so schrieben sich die Ereignisse in die chemische Schicht des Materials ein. Eine große Lichteinwirkung – etwa bei einer Explosion – belichtete das Material stärker als ereignislose Abschnitte.

Doch nicht nur die Abstraktion und Darstellung von stellvertretenden Symbolen lässt den Eindruck eines Gegenpols zu Robert Frank mit seinem direkten Blick und dem „it is, what it is“ im benachbarten Foyer entstehen. Auch die Präsentationsform könnte unterschiedlicher nicht sein. So finden sich Bildstrecken in Goldrahmentableaus oder gigantische, mehrere Meter messende Abzüge in schweren Eichenrahmen und bilden doch vermeintlich Banales ab: Chloe Dewe Mathews zeigt mit shot at dawn Landschaftsfotografien, die, abgesehen vom ästhetischen Wert und der Bildkomposition, motivisch unspektakulär bis beliebig sind. Erst beim Studium der Bildlegende erhalten sie durch die Information, dass an diesen Orten im Krieg Menschen hingerichtet wurden, ihre Bedeutung. Die „leere“ Fotografie wird durch die zusätzliche Ebene emotional aufgeladen und inhaltlich aufgewertet. Ob die Orte authentisch sind oder nicht, mag das Bild nicht zu belegen. Wo Bilder früher oft als Zeugnisse galten, sind aus ihnen in Zeiten des Misstrauens gegenüber Bildmanipulationen und gezielten Falschinformationen Stellvertreter geworden, die eben jenen Wahrheitsanspruch gegen Symbolcharakter eingetauscht haben. Diese Tendenz spiegelt sich vor allem bei den neueren Arbeiten der 2000er Jahre wieder, deren Beliebigkeit bei gleichzeitiger enormer Ästhetisierung durch imposante Präsentationsformen unterstrichen wird. So zum Beispiel bei Sophie Ristelhuebers Aufnahmen aus der Golfregion, die perspektivisch zwischen normaler Augenhöhe und der Vogelperspektive (Luftaufnahmen) surreal-grafisch anmutende Details aus der kuwaitischen Wüste zeigen: Relikte des ersten Golf-Krieges. Die Aufnahmen sind schön – zu schön vielleicht. Aus den golden schimmernden Seiten der tiefen Rahmen glänzt Bedeutsamkeit.

Der Weg zum Ausgang führt erneut vorbei an Robert Franks Zeitungspapierbögen: schwarzweiß, grob gerastert und aufgrund der Heftzwecken leicht wellig an der Wand. Unscheinbare Bilder, die nicht mehr sein wollen, als sie sind: Zeugen. Keine Zeugen einer objektiven, unumstößlichen Wahrheit, sondern des Blicks eines Fotografen auf die Welt – seine Welt. Bei aller Sympathie und Faszination für Ästhetik und Inszenierung, die namentlich Gestaltern und Künstlern eigen ist, bleibt die Frage nach der Ausgewogenheit zwischen dem Bildinhalt und dem Objekt „Foto“.

Sophie Ristelhueber, Fait (Fact), 1992 , Museum Folkwang 2015

Ausstellungsansichten: Jens Nober, Museum Folkwang

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    Don McCullin war 1968 als Fotojournalist in Vietnam. Die Bilder entstanden also im Hinblick auf eine spätere redaktionelle Verwendung (damals Zeitungen, Magazine oder Fernsehen) – ganz im Gegensatz zur Verwendung im Kontext der Fotokunst im Museum.