Susanne Brügger

anstelle eines editorials

cahier, cahiers: Heft, Hefte [franz.] cahiers du cinéma: legendäre französische Filmzeitschrift, 1951 gegründet u. a. von André Bazin

Das Heft erscheint in cahiers-rot: eine aus Blut, Schweiß und Tränen aller beteiligten Mitarbeiter gefertigte Sonderfarbe. Zum Patent angemeldet.

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Das vorliegende Heft ist die erste Ausgabe in der Reihe cahiers – Hefte zur Fotografie. Als Zeitschrift des Fachbereichs Design an der Fachhochschule Dortmund thematisiert die Heftreihe die Fotografie in ihren
­Gebrauchsweisen.

Studierende, Lehrende, Absolventen sind die Autoren der ersten Ausgabe der cahiers, und sie untersuchen in Essays, bildnerischen Arbeiten, Interviews und Kritiken die Fragestellungen des Mediums und seiner Anwendung aus unterschiedlichsten Blickwinkeln.

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Die Zwei (2) ist die natürliche Zahl zwischen eins und drei. Sie ist gerade und eine Primzahl. Die Steigerung von 1 zur 2 ist 100%. Zwei voneinander verschiedene Punkte P und Q bestimmen stets eine Gerade g. (Hilberts erstes Axiom I.1)

ZWEI

Die Gerade ist also ein Vorhersagemodell.
Aber wenn der Raum gekrümmt ist und die Gerade ein Bogen?
Oder gefaltet und die Gerade unvorhersehbar?

Schon in den 20er Jahren unterschied Sergej Eisenstein zwischen der Phase der (Film)Produktion und der Phase der Montage des Bildmaterials, in der die Aussage des Films (der Arbeit) geschaffen wird. Fotografen sind Bildproduzenten und damit Bild(rohstoff)lieferanten für Verwerter, seien dies Agenturen, Kuratoren, Zeitungsmacher oder wiederum Künstler. Die Frage nach den Zusammenhängen, die aus dem Bildmaterial konstruiert werden, wird hier an die Bildautoren zurückgegeben. Ob Fotografen Autoren sein wollen, ist nach wie vor eine ungeklärte Frage. Und es ist allzu oft eine Frage, ob man es sich leisten kann, ein Autor zu sein.

Bildproduktion, Autorschaft, Rezeption. Angesichts gegenwärtiger Bildtechnologien wächst allerdings der Zweifel, ob diese Parameter nicht an den zentralen Fragestellungen medialer und gesellschaftlicher Realität vorbeigehen, vielleicht sogar bloß geeignet sind, die Illusion eines selbstbestimmten Individuums aufrechtzuerhalten. Schon allein die nicht mehr beherrschbare Menge aktuell entstehender Bilder, zum Großteil von Überwachungskameras, Drohnen und Satelliten – sowie Heerscharen von Amateuren, die die affirmative, sozial-kontrollierende Funktion des fotografischen Bildes bedienen – erzwingt neue Strategien der Bildauswertung, nicht zuletzt wegen der grundsätzlichen Vieldeutigkeit des fotografischen Bildes. Ein Überwachungs- und Herrschaftsproblem.

AISight stellt die Frage nach Bildproduktion und Bildauswertung vollkommen anders. Die Entwicklung der texanischen Softwarefirma brs Labs (Behavorial Recognition Systems) ermöglicht die Auswertung jeglicher Videoüberwachung mittels künstlicher Intelligenz. Das lernfähige System, das bereits in Washington und Chicago installiert wurde, definiert selbständig, was „normales“ und was „auffälliges“ Verhalten ist. Und da für die Einrichtung von AISight lediglich Software implementiert werden muss, dürfte das System schon bald weltweit eingesetzt werden, mit gravierenden Folgen für das menschliche Verhalten.

In seltsamer Koinzidenz dazu wurde vor einigen Monaten von der New Yorker Trendagentur k-hole der Begriff des „normcore“ geprägt – das Unauffällige als Ziel einer schönen neuen Konsumwelt, in der Mode- und Lifestylefotografie „Lust auf mehr“ machen sollen und das Selfie den Vollzug meldet – mit der Überwachungskamera als Kontrollinstanz.

SYMPOSIUM

In Ergänzung zu Heft #2 findet am 23. und 24. Mai 2014 das Symposium Vom Nutzen der Bilder an der Fachhochschule Dortmund statt. Heft und Symposium verstehen sich als Raum, in dem Themen und Diskussionen entstehen. Einige Diskussionsfäden aus den Heften werden hier direkt im Gespräch weiterzuführen sein, andere werden dort erstmalig auftauchen und, soweit möglich, in späteren Ausgaben fortgeführt.