Ann Christine Freuwörth & Marcus Heine

Zwischenwelten

Interview mit Achim Mohné

Die fotobasierten Arbeiten des Medienkünstlers Achim Mohné beschäftigen sich mit der Funktion von Bildern, die er als Bindeglied zwischen sozialen, interdisziplinären und intermedialen Aktionen im Kontext eines permanenten gesellschaftskritischen Diskurses versteht.
Ann Christine Freuwörth und Marcus Heine besuchten ihn in Köln, um über seine Arbeiten und seine Ansichten zur technologischen Entwicklung und der damit verbunden Autokorrektur zu sprechen.

Marcus: Du wirst häufig als Künstler im Bereich Medienkunst beschrieben und verortest dich ja selbst auch dort. Dein Schaffen ist inzwischen sehr umfangreich, aber die Beschäftigung mit wiederkehrenden Themen und Fragen beziehungsweise Variationen davon ist deutlich zu erkennen. Kannst du vielleicht für jemanden der noch nicht so vertraut ist mit deinem Werk kurz zusammenfassen, was dein Schaffen im Kern trägt? Was sind die Fragen, die dich bewegen und was ist deine Motivation?

Ich habe zuerst Fotografie studiert an der Folkwang Schule in Essen, und dann bin ich im vierten Semester zwei Jahre in New York gewesen. Das war eine erste Prägung oder Distanz vom Studium selbst. Ich habe dann 1992 das erste Flusser Buch gelesen, und das war für mich eine Initialzündung anders über Fotografie zu denken. Dann habe ich noch meinen Abschluss in Essen gemacht, und dann in der Postgraduatur an der Kunsthochschule für Medien [Anm. d. Red.: in Köln] hat sich diese ganze Flusser’sche Idee nochmal extrem vertieft, weil dort auch viele Leute daran gearbeitet haben in diese Richtung zu denken. Seitdem hat es sich gewandelt, ich hatte da auch schon essayistisch gearbeitet, „FAZ Magazin“ und „Abenteuer und Reisen“ und solche Geschichten, und eigentlich auch schon ganz gutes Geld verdient. Aber dann kam irgendwie dieser Wechsel, und es fing an mich zu langweilen. Es hat sich von so einer Art von „ich geh‘ kreativ mit einem Medium um“ in „ich muss das Medium hinterfragen“ gewandelt. Und das ist eigentlich bis heute nach wie vor so. Ich hatte am Samstag ein tolles Gespräch mit dem Philosophen Daniel Tyradellis, der an einem Text schreibt für die nächste Publikation mit den Blümchen [Anm. d. Red.: Plant Scan Project], und da ging es für ihn auch um Immanenzphilosophie als Grundlage [Anm. d. Red.: der künstlerischen Arbeit]. Das sozusagen immanent im Medium gelegene Mitspracherecht ist eigentlich mein Hauptinteressengebiet oder Forschungsgebiet. Es eröffnen sich natürlich durch immer neue Techniken immer wieder neue Felder, und deshalb kann man davon sprechen, dass es letztendlich eine Art von Untersuchung von Neuem ist. Und bei so einer technologischen Entwicklung stellt sich die Frage, was wir Künstler tun können, um das verständlich zu machen und auch dagegen zu arbeiten.

Anni: Kannst du vielleicht nochmal in Worte fassen was genau die Kernaussage bei Flusser ist oder was genau der Zündstoff war für dich zu sagen: o.k., ich muss irgendwie anders denken, ich muss andere Fragen stellen, ich muss mich mit dem Medium anders beschäftigen?

Ich war von Flusser total geschockt, weil ich mich selbst für kreativ mit der Fotografie umgehend betrachtet habe. Der Schock an Flusser war diese Programmierung durch die Apparate selbst, durch die eben auch immanenten, innen liegenden Programmatiken. Das war wie sich selbst aus einer anderen Perspektive sehen, man hatte eine Drohnenperspektive, was mache ich da, in was für einem System arbeite ich da eigentlich? Und dann auch die Auseinandersetzung dessen, wie kann man das anders machen?

Marcus: Deine Kritik am Apparat und Programm ist ja sehr sprichwörtlich, damit meine ich das Auseinandernehmen, das Durchdringen der Geräte und sich damit diesen auch zu entziehen. Und auch durch die Manipulation der Geräte eine Grenzverschiebung innerhalb des Programms zu bewirken, was für dich ja ein Kern deiner Arbeitsweise ist. Aber steht dem nicht auch immer eine Notwendigkeit der Maschine an sich gegenüber? Die Maschine, die überhaupt eine Sichtbarkeit von etwas erzeugen kann?

Es ist eine höchst vollendete Paradoxie in der wir leben, und das macht das ja auch aus. Ich würde sagen, bei dem REMOTE WORDS Projekt kommt es vielleicht am allerdeutlichsten durch, dass man zehn Jahre daran arbeitet, dieses Distributionssytem Google zu hinterfragen, aber am Anfang des Projektes genau darüber eine Nachricht schickt. Dass diese Dinge immer weiter auseinanderdriften oder wie Niklas Luhman so schön sagte: die Welt wird gleichzeitig immer besser und immer schlechter. Beide Dinge türmen sich auf, und das ist glaube ich sehr wichtig in dieser Auseinandersetzung mit den Medien. Das heißt Technologie schlechthin, da gibt es keinen Blick zurück, sondern eigentlich nur einen Blick: wie können wir es anders machen? Zum Beispiel neulich, da hat Alex [Anm. d. Red.: Alexander Simon Klug, Assistent von Mohné] gesagt: komm, wir gehen am Hambacher Forst gucken. Sensationell! Du kannst das als Künstler gar nicht besser machen. Das ist einfach schön so, wie es dasteht. Das liegt im Moment in diesen Geschichten [Anm. d. Red.: auf die 3D-Modelle deutend], wo man denkt, die sind eigentlich vom Automatischen her so interessant, dass sie sich selbst entlarven.

Anni: Man hat den Eindruck, dass einfach eine große Faszination für Apparate da ist.

Das ist auf jeden Fall so. Aber es ist kein Maschinenfetischismus, es ist kein apotheotisches Verhältnis. Das ist zum Beispiel das Interessante mit den Blümchen aus dem Plant Scan Project. Das war auch am Samstag im Gespräch mit Tyradellis Thema, also dieses Apotheotische, das automatisch da drin steckt, denn ich will ja ganz andere Dinge vermitteln. Die Grundidee war eigentlich: wie politisch ist das Essen? Welche Auswirkung hat Fleischkonsum? Über fünfzig Prozent [Anm. d. Red.: Laut IPCC bis zu 37%] der Klimaprobleme kommen daher, wir könnten das alles mit Verzicht auf Fleisch regeln. Ein ästhetischer Ansatz ist ja auch nur eine Möglichkeit Dinge zu transportieren.

Marcus: Deine Arbeit “Laser_graphs” kann man ja auch als sehr ästhetisch bezeichnen. Für mich ist dabei wichtig, die eigene Betrachtung zu beobachten, denn diese Dreidimensionalität tritt darin so stark hervor, obwohl es eigentlich ein Fotogramm ist. Das ist dieses ästhetische Moment, das dann genau wieder den Blick dekonstruiert. Denkst du, dass du dich mit der Arbeit dem Programm und dem Apparat wirklich entziehst? Weil die Entstehung der Lasergraphs ist ja eigentlich die physikalisch-optische Wirkungsweise. Das ist ja eine Funktion, die auch in den Apparat implementiert ist. Jetzt ist die Frage, wird tatsächlich das Programm unterlaufen, indem man eine einzelne Funktion isoliert und die quasi kameralos funktioniert? Das ist jetzt provokant gefragt, aber ist das Ziel dann sozusagen wirklich geschafft oder bewegt man sich nicht doch wieder im Rahmen eines Programms?

Das ist natürlich eine feine Unterscheidung. Letztendlich würde ich sagen ist die kameralose Fotografie per se schon mal eine Unterlaufung des Programms von Fotografie: Zentralperspektive und alles, was da so mitspielt. Ein Unterschied zum normalen Fotogramm ist auch, dass der Laserstrahl nur auf den Staub trifft, es also etwas Indirektes gegenüber dem normalen Programm des Fotogramms hat. Man hat einen Körper, der sozusagen das Licht abhält, und einen Schattenriss. Und in diesem Fall ist es so, dass man eigentlich gar nichts sehen würde, es sei denn der Staub im Strahl reflektiert auf das lichtempfindliche Material zurück. Bei den farbigen Lasergraphs ist es zum Beispiel interessant, dass der Laser nur eine einzige Wellenlänge hat und die trotzdem Farbe entwickeln.

Anni: Man hat relativ häufig den Eindruck, dass du Dinge aus der virtuellen Welt, oder aus sagen wir mal der maschinellen Welt versuchst wieder in die reale Welt, in die analoge Welt zurück zu holen. Was löst dieses Bedürfnis aus?

Ich glaube das liegt einfach daran, dass ich analog und digital sozialisiert bin, das macht auch meine Generation relativ stark aus. Ich bin noch komplett mit der analogen Fotografie aufgewachsen. Keiner hätte je gedacht wo das hingeht. Ich glaube, das ist die Faszination, da wurde plötzlich die Welt komplett umgedreht, auf eine andere Art. Viele haben sich ja auch einfach darauf umgestellt, und jetzt macht man dasselbe digital, was man vorher analog gemacht hat. Ich glaube, das spielt eine große Rolle, und genau das will ich bei den Google-Earth-Modellen sichtbar machen. Wenn man sieht, was heute im Digitalen möglich ist, weil wir noch wissen wie wahnsinnig mühsam früher alles war.

Marcus: Wenn man davon spricht, dass jetzt alles leichter wird, zum Beispiel mithilfe von Autokorrekturen, dann unterstreicht das die Tendenz, dass das Programm sich ausweitet und man seine individuelle Autonomie abgibt.

Das Thema findet sich am stärksten in den Google-Earth-Modellen, aber natürlich auch in anderen Arbeiten. Wir sind jetzt gerade in diesem neuen Übergang, das ist eine neue Form von künstlicher Intelligenz, die da angewandt wird, besonders in den Textsystemen. DeepL übersetzt beispielsweise in einer rasenden Geschwindigkeit. Und Google Earth hat dieses fotogrammatische System, das die Kästen baut und unsere Häuser auf einen Zentimeter genau aus der Luft vermisst. In dem Fall ist die Autokorrektur dessen was da passiert dieses fotogrammatische System, das mit dem Optischen übereingestimmt werden muss. Aber momentan geht es so schnell, dass diese Autokorrektur, die das Künstlerische für mich hervorholt, wahrscheinlich in zwei, drei oder fünf Jahren gar nicht mehr sichtbar sein wird. Das heißt, in dem Fall ist die Autokorrektur das künstlerische Geben. So wie damals die Dadaisten beim maschinellen Schreiben das visuell Interessante in den damit verbundenen Tippfehlern entdeckt haben. Was macht das mit den Texten? Was macht das mit den Inhalten? Wie geht das sozusagen semantisch in eine ganz andere Auflösung? Das ist bei der Google-Earth-Arbeit der Dreh- und Angelpunkt.

Achim Mohné, 3D-Google-Earth-Model #6, Richard Serra, Terminal, Bochum, aus der Serie: Art In Public Spaces Seen Through The Eyes Of Google Earth, 2019 – ongoing

Anni: Hast du eine Vorstellung davon wie sich der mediale Wandel weiterentwickeln wird?

Also ich glaube, dass es im 3D-Bereich wahnsinnig abgehen wird. Die VR-Brillen sind nur eine Krücke, da werden sich sehr schnell andere Technologien entwickeln, so dass sie beispielsweise nicht mehr so schwer und drahtlos sind. Es ist eine super schwere Frage, wo es hingehen wird, und das ist für euch auch wirklich nochmal etwas anderes, da ihr jünger seid. Ihr seid da einfach teilweise mit aufgewachsen. Hätte man mir vor 15 Jahren erklärt wie die Navis heute funktionieren, hätte ich das für eine unmögliche Zukunftsvision gehalten. Das ist ja auch das Interessante, dass manche Dinge nicht vorhergesagt sind, und sie entstehen, und andere Ideen, wie dass wir 2010 zum Mars fliegen, die haben sich nicht verwirklicht. Ich finde es schon wahnsinnig interessant, wie bestimmend das Mediale für uns geworden ist und mit was für einer Hilflosigkeit wir dastehen, so dass ich oft selbst nicht damit umgehen kann. Ein gutes Beispiel dafür ist die Nutzung sozialer Netzwerke.

Anni: Ja, genau. Dabei hat man den Eindruck, dass man erst den gewünschten Output erhält, je mehr Input du dem System gibst.

Richtig, das ist ein absolutes System, welches immer mehr gefüttert werden muss, wie beim Sport. Es ist total gierig – letztendlich eine Kommunikation, die immer fortgesetzt werden will und fortgesetzt werden muss. Das ist eigentlich auch die Grundidee von RemoteWords gewesen. Damals, als das neue Medium [Anm. d. Red.: Google Earth] kam, haben auch viele gesagt, das ist ja gut und nett – aber doch nicht für die ganze Welt? Während heute alles über Flugzeuge und andere Systeme mit hoher Genauigkeit läuft, waren es damals Satelliten, die die Bilder mit einer wesentlich schlechteren Qualität aufgenommen haben. Es gab natürlich auch noch viele Flecken, aber trotzdem hat man es geschafft, die Jahrtausende alte Betrachtung von Welt und Natur und Navigation in ein komplett neues Wahrnehmungssystem zu bringen. Und es ist uns ja bis heute noch nicht klar, was das mit uns gemacht hat. Es gibt keine Landkarten mehr und man hat den Überblick komplett verloren. Man folgt dem Navi immer nur Stück für Stück und total linear wie bei einer Kette. Das ist der totale Raumkiller.

Marcus: Ich habe vor Kurzem selbst mal dein “Portrait” von Edward Snowden bei Google Earth gesucht, das ist ja relativ versteckt. Was ich mich gefragt habe: Edward Snowden ist nicht so unbekannt, du bist nicht so unbekannt, die Aktion war im Prinzip auch relativ öffentlichkeitswirksam, trotzdem ist die Stelle gar nicht markiert in der Landkarte. Wie fändest du es, wenn das jetzt als Landmarke markiert wird und so eine Art Review erhält?

Ich finde das total lustig, dass du das sagst, weil Samstagnacht habe ich zufällig entdeckt, dass das deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum die Arbeit bei sich ins Archiv aufgenommen hat. Das fand ich total super. Die zeigen da alles Mögliche, aber normalerweise keine Kunst. Aber ich muss dir Recht geben, es war eine relativ prominente Ausstellung, und es ist ein sehr prominenter Mann. Vielleicht wäre es drei Jahre früher nochmal anders wahrgenommen worden. Aber ich finde es auch interessant, wie wenig Aufmerksamkeit die Arbeit in den Ausstellungskritiken bekommen hat. Dass Snowden so versteckt liegt, finde ich ziemlich schön. Insgesamt gesehen bin ich mit der Arbeit an diesem Ort sehr glücklich, besonders weil sie übernommen wurde. Der Bürgermeister von Wittenberg wollte das nicht, à la „Wir wollen mit der persona non grata nichts zu tun haben!“ Aber der Kurator hat sich sehr stark eingesetzt und bei Behinderung des Projektes mit seinem Rückzug gedroht. Da braucht man dann auch so jemanden wie Herrn Weibel, der mitzieht und sich von Niemandem reinreden lässt, was ausgestellt wird und was nicht. Am schönsten an dieser Zusammenarbeit war eigentlich, dass dieses Whistleblower-Netzwerk auf mich zukam. Ich wusste, dass ich kein Feedback bekommen würde, aber Snowden hat die Arbeit auf jeden Fall gesehen. Er will ja alles, was mit seiner Person zu tun hat, sozusagen raushalten. Ein sehr bekanntes Zitat von ihm ist ja: „Im not a hero, I am a citizen.“ Er hat besonders in Amerika den Standpunkt vertreten, dass ein Bürger nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat zu sagen, wenn der Staat Scheiße baut.

Anni: Findest du, dass man heutzutage als Künstler, sozusagen als Repräsentant der Zivilgesellschaft in der Öffentlichkeit, politisch sein muss? Beziehungsweise kann man eigentlich noch als Künstler in der Öffentlichkeit agieren, ohne politisch zu sein?

Ja, da ist eine ziemlich gute Frage. Ich würde es niemandem vorschreiben. Bei mir hat es sich stark verändert, so dass ich in den letzten zehn Jahren politischer geworden bin. Weil es aber auch mehr brennt. Beispielsweise bei den Google-Earth-Modellen. Die können nach niedlichen Puppenhäusern aussehen, aber es ist eigentlich der totale Horrorfilm. Die Darstellung wie die Autos in der Straße versinken und wie die Häuser zusammenfallen oder ganze Häuserecken fehlen. Um nochmal auf die Frage zurückzukommen… falls du mich fragen würdest: Kann man als Mensch durch die Welt gehen, ohne sie zu reflektieren, würde ich sagen, nein. Aber ob man dabei politisch agiert, Philosoph, Psychologe oder Soziologe ist, ist egal. Man denkt über die Welt nach und versucht wenigstens etwas zu verstehen. Das tun im Übrigen auch Techniker. Das ist das Interessante an Snowden.

Marcus: Ich würde gerne noch auf die Arbeit „Lies like truth“ eingehen. Sven Drühl hat in seinem Text darüber den Begriff „Fake“ benutzt, was ich in dem Zeitkontext total interessant finde, da es ja eigentlich ein Schlagwort unserer Gegenwart ist. Das Videobild damals als Fake zu bezeichnen, greift – rückblickend betrachtet – irgendwie voraus. Die Arbeit hat ja den Wahrheitsgehalt von Bildern und Medieninhalten grundsätzlich hinterfragt, auch eigentlich durch die Instrumentalisierung der Besucher. Es ist sehr interessant, weil es sehr bestimmend und eingreifend ist.

Ja, das kann man schon auch deutlich kritisieren.

Marcus Heine, Achim Mohné mit unfertigem 3D-Model, Auszüge aus Interview Videomaterial, 2020

Marcus: Das Hinterfragen des Wahrheitsgehaltes ist aktueller als jemals zuvor. Wenn man jetzt an Phänomene denkt, wie aus dem Digitalen künstliche Intelligenzen wachsen, zum Beispiel Deep Fake. Diese Problematiken erstrecken sich ja über das Politische wie das Private. Sind das auch so Themenbereiche, die dich im Augenblick beschäftigen?

Auf jeden Fall. Die Arbeit [Anm. d. Red.: Lies like truth] ist ja auch 20 Jahre alt. Aber damals war das natürlich wie eine Art Spiel. Die Einbindung war der kleine Monitor, wo man das Oval Office sehen konnte. Die Geräusche kamen aus der Galerie selber. Aber die hätten natürlich auch aus dem Oval Office kommen können. Und dadurch, dass da das Foto steht und der Monitor ein bisschen flimmert, denkst du natürlich, das ist live. Das waren die Mittel der damaligen Zeit. Heute muss man sich wirklich mit der Software beschäftigen und man braucht Leute, die das verstehen. So wie bei meinen Modellen. Ich habe weder die Maschinen, noch die Software, dass ich das allein machen könnte. Dennoch sind es super interessante Themen, die da anstehen und zwar zuhauf. Und das hat ja alles mit Fotografie zu tun. Es sind alles maschinelle, fotografische Augen, die das verarbeiten.

Marcus: Würdest du für dich als Künstler oder für die Kunst allgemein formulieren, dass die Tendenz zur Kollaboration wichtig wird, einfach um die Phänomene zu durchdringen?

Unbedingt. Das ist wahnsinnig interessant und erweiternd. Das war wirklich in der vor-digitalen Zeit anders und einfacher – da konntest du einen Videorecorder auseinandernehmen und hast dann ein paar Tutorials vorher gelesen. Heute ist das alles viel komplexer.

Anni: Kannst du dir vorstellen wie lange es noch dauert, bis die breite Masse einen Zweifel entwickelt gegenüber der Wahrhaftigkeit von Bildern und erkennt wie machtvoll Fotografien sind?

Ich glaube der Zweifel ist schon längst da. Aber es wird akzeptiert, weil die Bequemlichkeit größer ist. Das ist die Paradoxie, wie bei Facebook. Alle wissen eigentlich, dass alle Informationen davon verwendet werden, aber es interessiert keinen. Als ich damals in Essen studiert habe, gab es die sogenannte Volkszählung. Da musste dann jeder mitmachen. Da musste man Name, Adresse und Wohnort angeben, sonst gar nichts – und das haben wir boykottiert.

Marcus: Ist nicht diese Bequemlichkeit oder auch die Resignation, für dich als Künstler gerade die Herausforderung? Denn man muss ja im System handeln, um gegen das System vorzugehen. Aber man bekommt eigentlich nie ein Feedback, als hätte man tatsächlich Teile des Systems verändert.

Richtig. Wie bei Snowden genügt es mir dann, dass es da drüben angekommen ist. Da gibt es Leute, die haben das gesehen und interessieren sich dafür. Das hat dann schon eine gewisse Wirkung über die Kunst hinaus, was das Interessante daran ist.

Das Interview wurde am 03. Februar 2020 in Köln geführt.