Gregor Sailer

Shooting your own death

Gleich zwei Beiträge widmet das erste Heft der Cahiers dem auf der ­dOCUMENTA 13 in Kassel gezeigten Arbeitszyklus ­The ­Pixelated ­Revolution des libanesischen Künstlers Rabih Mroué. Die Betrachtungen von ­Pamela­ C. ­Scorzin und Gregor Sailer gehen dabei jeweils unterschiedlich den Fragen nach Opferrollen und den Bildmedien und ihrer Authentizität nach.
Ein Angebot für gewissermaßen stereoskopisches Lesen.

Rabih Mroué, geboren 1967 in Beirut, findet in seinem speziell für die dOCUMENTA 13 geschaffenen neuen Arbeitszyklus „The Pixelated Revolution“ einen ganz außergewöhnlichen Weg, das Sterben der syrischen Demonstranten darzustellen. Beklemmend und dokumentarisch nüchtern zugleich erarbeitet er in dem gezeigten Vortrag, den Fotografien, Wandtexten, einem von Hand abgespielten 8mm-Film und mit Sound unterlegten Daumenkinos das tägliche Morden auf Syriens Straßen. Begleitend dazu fand eine Performance im Kasseler Staatstheater statt.

Zentrales Thema in der Arbeit ist es, den Blick des Opfers auf seinen Mörder kurz vor seinem Tod zu bannen, zu untersuchen und zu hinterfragen. Den Mörder zu zeigen. Auf die Methoden des syrischen Regimes hinzuweisen, das auf jede Kamera, jedes Handy schießen lässt, mit dem fotografiert, gefilmt und Ton aufgenommen wird, um zu vermeiden, dass Informationen jedweder Art das Land verlassen. Das Regime will Bilder löschen und verschwinden lassen und macht nicht nur Jagd auf Zivilisten, sondern vor allem auch auf professionelle Journalisten, Fotografen und Kameraleute.

Wichtigstes Medium im Projekt ist das Mobiltelefon, welches bekanntlich im Arabischen Frühling eine enorm wichtige Rolle in der Kommunikation und Informationsverbreitung spielte und spielt, als Möglichkeit, die Zensur und Kontrolle der Staatsmacht zu umgehen, zu täuschen oder auch zu missbrauchen. Die Frage der Verwertbarkeit hinsichtlich Wahrheitsgehalt, Qualität und Identifizierbarkeit des Bildes an sich oder der zeitlichen Zuordnung bleibt eine schwierige, wenn überhaupt lösbare.

Mroué nutzt die rohe visuelle Oberfläche von Handybildern, um die Anonymität der Sterbenden und auch der Tötenden zu steigern. Gleichzeitig gelingt es ihm, den Betrachter in die Position des Opfers zu rücken. Eine konkrete Identifizierung mit demselben oder auch dem Schützen bleibt jedoch unmöglich. Das Mobiltelefon fungiert als Verlängerung des eigenen Körpers, als vorgesetztes zweites bzw. drittes Auge, welches sich dem Gewehrlauf gegenübersieht. Eine subjektive Kamera.

„It’s a war between a camera with three legs and a camera with two legs.“

Den libanesischen Regisseur, bildenden Künstler, Schauspieler und Dramatiker interessiert dabei die Frage, warum die Opfer regungslos in das Angesicht ihres eigenen Todes blicken, warum sie in dieser Situation des „Double Shootings“ keinerlei Reaktion zeigen, sich selbst in Sicherheit zu bringen. Wirkt das Mobiltelefon wie ein Schutzschirm, ein Panzer, der dem Opfer das Gefühl von Unsichtbarkeit, Unsterblichkeit oder einer Realitätsverschiebung gibt? Das Gefühl von „Ich bin nicht hier“?

Die unruhigen Bewegungen der Kamera, die Unschärfe, das Auspixeln der Bilder, die Bewegungen von Scharfschützen oder Panzern, das Fallen des Mobiltelefons nach dem Schuss, die Frage, ob der Getroffene tot, verwundet oder gerettet wurde, dazu der kratzige O-Ton, lassen eine beklemmende und verstörende Atmosphäre beim Betrachter entstehen. Man erwartet und weiß, wo und wie die Sequenz endet. Ähnlich funktionierend wie beim Horrorfilm oder Thriller. Es ist ein Ausdruck enormer Gewalt, auch wenn offensichtlich kein Blut fließt und keine Leichen gezeigt werden.

„The Syrian protesters are shooting their own deaths.“
„How many mobile phones have been lost?“

Mroué sammelt vom Internet heruntergeladene Videos und verarbeitet diese in Kombination mit Spielfilmmaterial. Dazu analysiert er Einzelbilder der Sequenzen. Einige davon selektiert er und hängt sie als großformatige, ungerahmte Fotografien im Rahmen der dOCUMENTA-Installation an die Wand. Bilder von anonymen Killern, deren Gesicht nie erkennbar ist. „Ich nutze das Bildmaterial, um etwas herauszufinden über die Beziehung zwischen Bild, Abbild und Tod.“

Dem Betrachter wird in Form des Wandtextes eine Art Anweisung zum Gebrauch von Handys bei
Demonstrationen, basierend auf den Regeln von ­Dogma  95, dem Manifest des dänischen Filmkollektivs, gegeben.

„Instructions and Advice How to Shoot Today.“

Verfasst u. a. von Lars von Trier und Thomas Vinterberg im Jahr 1995, werden unter anderem folgende Punkte angeführt: „[…] Gefilmt wird an Originalschauplätzen. Der Ton darf niemals getrennt von den Bildern produziert werden. Musik kann also vorkommen, darf aber nicht nachträglich eingespielt werden. Zur Aufnahme dürfen ausschließlich Handkameras verwendet werden. Der Film muss in Farbe gehalten werden, künstliche Beleuchtung ist nicht akzeptabel. Es dürfen keine Filter verwendet oder Spezialeffekte eingesetzt werden. Der Regisseur darf weder im Vor- noch im Abspann erwähnt werden. Es darf sich um keinen Genrefilm handeln. Der Film darf keine Waffengewalt oder Morde zeigen. […]“

Die im Loop projizierte Videoarbeit wird begleitet von einem von Mroué selbst gehaltenen Vortrag – bewusst nüchtern, so wie der Raum, in dem er ihn hält, jedoch gut recherchiert und überzeugend präsentiert. So verweist er beispielsweise auf die Forschungsarbeit des deutschen Wissenschaftlers ­Wilhelm Kühne, welcher im 19. Jahrhundert Vorgänge in der menschlichen Netzhaut erforschte. Die von ihm so benannten Optogramme bezeichnen das letzte Bild auf der Netzhaut eines Toten. Der wissenschaftliche Stellenwert der sogenannten Optographie, der Wissenschaft um die Fixierung des letzten Bildes, das ein Lebewesen vor dem Tod sieht, bleibt jedoch aufgrund des fehlenden Nutzens minimal. Historische Überlegungen, sie als forensisches Mittel einzusetzen, waren nie zu realisieren. NebenRabih­ Mroué setzen sich auch noch andere Künstler mit der Idee der Optographie auseinander, wie etwa der ­Brite ­Derek ­Ogbourne.

Auf die Frage einer Kunstkritikerin, ob denn Künstler in schwierigen und riskanten Situationen weiterhin im Studio arbeiten, selbst zu Aktivisten auf der ­Straße werden oder „normale Alltagszivilisten“, soweit überhaupt möglich, bleiben sollten, entgegnet Mroué mit der Frage, ab welchem Zeitpunkt sich Künstler denn überhaupt erlauben dürfen, zu fragen oder eine Arbeit zu beginnen. Nicht nur für ihn braucht die Kunst eine gewisse Distanz zu den Dingen und auch eine Art von Frieden in sich.

The Pixelated Revolution kann insofern als logische Weiterführung in Mroués Werk gesehen werden, in dem er sich seit Ende des libanesischen Bürgerkriegs im Jahr 1990 intensiv mit der Entwicklung einer Sprache auseinandersetzt, welche eine Analyse der Geschichte und aktuellen Situation im Libanon wie auch generell im Nahen Osten ermöglicht und in Folge darstellt bzw. transportiert. Er beschäftigt sich seit langem mit der Praxis des Aufzeichnens und Archivierens sowie den Erzählweisen von Geschichten, sich stets seiner Verantwortung als Künstler bewusst. Im Rahmen seiner Lecture Performances wird der Körper auf der Bühne zu einer unmittelbaren Metapher für die Handlungsfähigkeit des Einzelnen in Gesellschaft und Kultur, in einem politischen System oder Staat.

<Verweis auf zweiten Textteil>