Susanne Brügger

mehrmalszweiseiten. das (foto)buch.

Abschied von einem Begriff

Nach der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2254 der Kommission vom 2. Dezember 2015 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur ist eine fest gebundene Ware (sog. „Fotobuch“) aus Papier mit Abmessungen von etwa 21 cm × 31 cm, mit gedruckten vollfarbigen, personalisierten Fotos und kurzem Text zu den Aktivitäten, Veranstaltungen, Personen usw. auf den jeweiligen Fotos in die Position 4911 91 00 einzureihen. Eine Einreihung in Position 4901 als Buch ist ausgeschlossen, da die Ware nicht zum Lesen bestimmt ist.
[…] Dies gilt auch dann, wenn der zu beurteilende Gegenstand andere Abmessungen als die in der Durchführungsverordnung genannten aufweist oder nicht oder nicht vollständig im Vollfarbdruck hergestellt wurde. […]
Bundesministerium der Finanzen, GZ III C 2 – S 7225/12/10001 DOK 2016/0368010, BMF, Schreiben vom 20. April 2016

Kaum ein Begriff der fotografischen Bildkultur hat durch die Einführung digitaler Technik und seiner massenhaften Verbreitung in der Welt der Amateure eine derartige Wandlung erfahren wie der des Fotobuchs. Die Recherche im Netz schlägt fehl, es erscheint nicht einmal ein Eintrag bei Wikipedia, stattdessen reduzieren sich Suchergebnisse auf die Frage nach dem Fotobuch1Bei der Eingabe „photobook“ sieht es nicht viel anders aus, immerhin kommt irgendwann ein link zum photobookfestival und anspruchsvolleren Seiten zum Thema Buchproduktion.offenkundig auf den günstigsten Anbieter sogenannter selbstgestalteter Alben.

In der Fotoszene verhält sich das anders. Der Hype um das Fotobuch, befördert u.a. durch Publikationen von Martin Parr und Gerry Badger, ist kaum verebbt. Hier gilt das Fotobuch als das Autorenmedium zur Formulierung anspruchsvoller Projekte. Bilder, Texte und Grafiken zeigen sich als medienkonvergente Aspekte eines Themenkomplexes, der auf den Buchseiten in Eigenregie oder kongenialer Zusammenarbeit mit einem Buchgestalter formuliert werden kann. Zudem haben die klassischen marktbeherrschenden Vertriebswege ihr Monopol verloren, und print-on-demand ermöglicht noch den eigenwilligsten Arbeiten, in professioneller Form vertrieben zu werden.

Das demokratische Versprechen der neuen Medien, einst elitäre Produktionsmittel in die Hände der Autoren zu geben, wurde technisch gesehen zwar eingelöst, aber die daran geknüpften Erwartungen an die kreativen Potentiale wurden eher enttäuscht. Als der Autorenfilmer Jean-Luc Godard in den späten 70er Jahren davon sprach, dass dereinst jeder mit Hilfe der Videokamera in der Lage sein werde, Filme zu machen, konnte er nicht ahnen, dass die digitale Revolution auch der letzten Banalität mittels Handykamera und YouTube den Weg in eine von Aufmerksamkeitsökonomie bestimmte Welt ebnen würde.

Eine ähnliche Differenz avancierter professioneller Ansprüche zu alltäglichem Gebrauch der Medien zeigt sich auch am Beispiel des Fotobuchs. Auf dem rasant expandierenden Markt smartphone-gestützter Amateurfotografie ist die Fotobuchproduktion seit etwa 2007 zum verlässlichen Wirtschaftsfaktor der Branche geworden. Hier herrscht eine akute Begriffsverwirrung, die angesichts der oben zitierten neuen EU-Verordnung nun auch noch Kosten zur Folge haben wird.

Im Sinne einer Begriffsbestimmung bietet sich die „differentialdiagnostische“ Abgrenzung des Fotobuchs zu Katalog oder Album an, die vorrangig den direkten Bezug zum abgebildeten Sujet suchen.2Die linear eingängigen Narrative des Reise- und Tagebuches oder auch des Albums, sind wiederum selbst beliebte erzählerische Templates der künstlerischen und journalistischen Fotobuchproduktion.So kann man im klassischen Fotobuch, das in medialer „Eingemeindung“ allgemein als Künstlerbuch betitelt werden sollte, die häufigen Rück- und Querbezüge, die formal und inhaltlich die Lektüre kennzeichnen, als einen polysemischen Zusammenhang erkennen, wie ihn Roland Barthes für jegliche Form des Textes für bestimmend hält.3Roland Barthes, S/Z, Frankfurt a/M 1987 (Paris 1970)

Vielleicht ist dies das Spezifische am Künstlerbuch, dass die Elemente der verschiedenen medialen Ebenen das Gewebe einer vielfältig bezüglichen Narration bilden – und damit einem Text nach seiner allgemeinen Definition als Bedeutungsgefüge entsprechen. In diesem Sinne ist es natürlich auch ein zum Lesen bestimmter Text.

Unterdessen steigt der Absatz der sogenannten Fotobücher unaufhaltsam weiter auf ein Allzeithoch von 8,8 Mio Stück allein in Deutschland im Jahr 2015.4Photoindustrie-Verband e.V, Trendprognosen 2016, März 2016 [http://www.photoindustrie-verband.de/artikel/Foto- und -Imagingmarkt-Trendprognosen-2016], [9.8.2016]

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    Bei der Eingabe „photobook“ sieht es nicht viel anders aus, immerhin kommt irgendwann ein link zum photobookfestival und anspruchsvolleren Seiten zum Thema Buchproduktion.
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    Die linear eingängigen Narrative des Reise- und Tagebuches oder auch des Albums, sind wiederum selbst beliebte erzählerische Templates der künstlerischen und journalistischen Fotobuchproduktion.
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    Roland Barthes, S/Z, Frankfurt a/M 1987 (Paris 1970)
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    Photoindustrie-Verband e.V, Trendprognosen 2016, März 2016 [http://www.photoindustrie-verband.de/artikel/Foto- und -Imagingmarkt-Trendprognosen-2016], [9.8.2016]