Alexander Hagmann

Editorial

August Sanders Jungbauern könnten auch Bergleute gewesen sein. Das wäre natürlich ganz schlimm und würde das Werk Sanders in einem neuen Licht erscheinen lassen. Vielleicht ist es aber auch egal, ob dort drei Jungbauern, drei Bergleute, drei Schauspieler oder drei Metzger standen.

Die Diskussion um den Wahrheitsgehalt der Fotografie nimmt bisweilen absurde Züge an und lässt sich an vielen Stellen darauf zurückführen, dass die Fotografie fast ausnahmslos einer zusätzlichen Beschreibung bedarf und aufgrund dieser auch bewertet wird. Hätte Sander dem Bild nicht Jungbauern sondern Bergleute zugeschrieben, wäre die Information nicht mehr oder weniger relevant. Faktisch überprüfen lässt sich die Berufsbezeichnung der drei Personen aus heutiger Sicht ohnehin kaum und eine Zuschreibung als Astronauten wäre im Nachhinein wahrscheinlich deutlicher als falsch zu enttarnen. Historisch relevanter wäre sie allemal.

Inszenierung, Wahrheit, Realität und Lüge sind Substantive, die im Zusammenhang mit Fotografie regelmäßig überstrapaziert werden, dem Kern einer Diskussion über das Abgebildete, aber meist so nahe kommen wie die World Press Photo Foundation einer kritischen Auseinandersetzung mit den komplexen Strukturen bildnerischer Darstellung. Unbestreitbar liegt einer Fotografie (technische Manipulationsmöglichkeiten nach und/oder während der Aufnahme einmal außer Acht gelassen) in der Regel etwas Dagewesenes zu Grunde. Viel wichtiger als die vermeintlich abgebildete ist jedoch die dem Bild zugeschriebene Realität.

Etwa zu behaupten, eine auf einem Bild sichtbare Flagge würde wehen, gehört beispielsweise eher in den Bereich der Unterstellung aufgrund von Alltagserfahrungen, als dass eine Fotografie dafür irgendeine Evidenz liefern könnte. Zu mehr als der Behauptung, dass wahrscheinlich eine Flagge da gewesen ist, scheint die Fotografie gar nicht im Stande zu sein. Da weht tatsächlich nur der Geist.

Ähnlich verhält es sich bei den Hidden Mother Photographs. Marcus Heine und Philipp Harms haben in ihrem Beitrag folgerichtig festgestellt, dass Bilder diesem Bereich nur zugeordnet werden, weil man glaubt, dass sich unter dem Tuch die Mutter befinden muss, obgleich das Naheliegende jedoch noch kein Beweis ist. Es scheint mir sogar noch naheliegender, dass die Mutter zwecks Aufmerksamkeit und Blickrichtung des Kindes im Bereich hinter der Kamera stand. Womit Hidden Mother Photographs als Beschreibung zwar nicht weniger richtig ist, Hidden Photographer’s Assistant Photographs aber mindestens genauso richtig wäre.

Hat eigentlich schon mal jemand gezählt, wie viele Hühner sich im fotografischen Werk von August Sander versteckt halten?